We re-publish here in full a lengthy essay by a Chinese journalist residing in Germany but writing under a pseudonym. With fulsome apologies for the German, the gist of the presentation here is that Western capitalism (which she names by its ideological moniker, "Neoliberalism") has fed an Evil Monster in the semblance of the Chinese Communist Party that has diabolically exploited the Western capitalists' search for profit in order to build itself into a global kleptocracy that now threatens to engulf the world itself, even through the instrumental use of the Chinese Diaspora (through migration, education and tourism)!
As friends would know, this is something that we have been arguing not in 2019, but since the ouset of this Blog in 2011. Still, it is comforting that eight years too late, the democratic world is starting to confront the Chinese Monster with the brute and ruthless violence that it evokes and that it richly deserves!
As friends would know, this is something that we have been arguing not in 2019, but since the ouset of this Blog in 2011. Still, it is comforting that eight years too late, the democratic world is starting to confront the Chinese Monster with the brute and ruthless violence that it evokes and that it richly deserves!
Tiananmen-Massaker:Vom Traum ist wenig übrig
Der 30. Jahrestag des
Tiananmen-Massakers ist ein Moment zum Innehalten, auch für den Westen: Welche
Lektionen lassen sich aus der Entwicklung Chinas seither lernen?
Von Franka Lu
4.
Juni 2019, 20:35 Uhr146 Kommentare
Die Bilder, die sich der Westen
unter anderem von China macht: eine Teilnehmerin der diesjährigen Sitzung des
Nationalen Volkskongresses im März (links); ein Wachsoldat der
Volksbefreiungsarmee beim Empfang eines ausländischen Staatsgastes (rechts) © Kevin Frayer/Getty Images, Nicolas
Asfouri/AFP/Getty Images
Vom Traum ist wenig übrig
Franka Lu ist
eine chinesische Journalistin und Unternehmerin. Sie arbeitet in China und
Deutschland. In dieser ZEIT-ONLINE-Serie berichtet sie kritisch
über Leben, Kultur und Alltag in China. Um ihr berufliches und privates Umfeld
zu schützen, schreibt sie unter einem Pseudonym.
Der 30.
Jahrestag des Tiananmen-Massakers am 4. Juni ist für China ein
heikler und entscheidender Moment. Für den Rest der Welt allerdings auch. Vor
30 Jahren beschloss die Kommunistische Partei Chinas, ihre eigenen Staatsbürger
zu ermorden, um die absolute Macht zu behalten. Dann entwickelte sie eine
hybride Ökonomie, um den Herausforderungen der Welt nach dem Kalten Krieg
gewachsen zu sein. Seitdem wurde das vor 30 Jahren vergossene Blut in China
weithin vergessen, der Traum der Demokratie verraten, ein neues autoritäres
Staatsmodell konstruiert und gestärkt. Und im Westen: Vom Versprechen des
Neoliberalismus, mit der Befreiung der Marktkräfte weltweiten Frieden und
Wohlstand zu bringen, ist wenig geblieben. An die Globalisierung der liberalen
Ordnung glaubt kaum jemand mehr, Nationalismen kehren zurück. Es ist der
richtige Augenblick, nicht nur an die Opfer und die Helden in China zu
erinnern, sondern auch die ernüchternden und widersprüchlichen Lehren aus der
Entwicklung des Landes seither zu ziehen. Beides wird helfen, in diesen
verwirrenden Zeiten einen klareren Blick in die Zukunft zu werfen.
Die Erinnerung
an den 4. Juni zu bewahren, das war und ist in China so anstrengend wie
gefährlich, ein steter Kampf gegen die Zensur und die Machtmaschine der
Regierung. Wenig ist bewahrt von den Geschichten und Zeugnissen des
chinesischen Traums von der Demokratie. In einem kürzlich im Guardian veröffentlichten Artikel haben
Louisa Lim und Ilaria Maria Sala beschrieben, wie gründlich "Pekings
großes Vergessen", diese Auslöschung der Erinnerung eines ganzen Volkes,
gelungen ist: "Wir haben diesen Moment des Schocks und der Verwirrung
miterlebt und den einen Satz in vielen Versionen gehört: 'Ich war da. Ich habe
es mit eigenen Augen gesehen. Aber ich habe so lange nicht darüber gesprochen,
dass ich es aus der Erinnerung verdrängt habe. Bis zu diesem Augenblick hatte
ich buchstäblich vergessen, dass ich dort gewesen bin.'" Von der Mehrheit
der Bevölkerung ganz zu schweigen, die nicht "dort" war – und die
Leidenschaft, die Solidarität, die Hoffnung, den Zorn, die Kugeln und das Blut
nicht erlebt hat.
"LU ERKLÄRT CHINA":Weitere
Folgen unserer Serie
Wer die
Erinnerung unterdrückt, macht das Nachdenken unmöglich. Den Menschen wird eine
verzerrte Fassung von Karl Marx' historischem Materialismus eingetrichtert:
Danach ist "der Lauf der Geschichte" durch "objektive
Kräfte" bestimmt. Die Bürger müssen alle Macht an die weise und
allmächtige Kommunistische Partei Chinas übertragen, die die Nation durch die
tückischen Strudel dieser Kräfte navigiert. Andernfalls herrschten Desaster und
Chaos im Land. Weil das Nachdenken über Tiananmen unterdrückt
wird, gibt es keine Vorstellung einer anderen Zukunft mehr; zumindest erscheint
es so. Die Leute wissen Bescheid über die elende ökonomische Lage der früheren
sowjetischen Staaten, über die Gewalt in Syrien nach dem Arabischen Frühling –
aber vom Fortschritt etwa in Tschechien oder Tunesien wissen sie wenig. Vom
Einzelnen wird nicht mehr verlangt, als dass er oder sie hart arbeitet und die
Partei unterstützt. Die Belohnung: wachsender Reichtum. Und wenn sie reicher werden,
glauben viele gern, die Partei sei im Besitz der letztgültigen Wahrheit.
Mit dem Zweifel beginnt der Verrat
Für die
Chinesinnen und Chinesen, die andere Vorstellungen haben, und für die
Nichtchinesen, die mit der Demokratiebewegung in China sympathisieren, waren
die 30 Jahre seit Tiananmen eine harte Probe: für ihre Gefühle, ihr Gewissen
und ihre Werte. Vor 30 Jahren war Demokratie der Traum, dessen Verwirklichung
die Chinesen herbeisehnten. Von diesem Traum ist wenig übrig. Und jeder
Versuch, ihn in die Öffentlichkeit zurückzubringen und wiederzubeleben, bedarf
enormer Anstrengungen. "Ist es denkbar, dass ich mich getäuscht habe und
dass die Partei recht gehabt hat?" Diese Frage haben sich früher oder
später viele einmal gestellt, gerade angesichts der Krisen und Rückschritte,
die der Westen erlebt hat.
Schließlich
sind der wachsende Wohlstand, die globale Macht Chinas, die technologischen
Innovationen, die enorm gestiegene Lebenserwartung und der gewachsene
Bildungsstand schwer von der Hand zu weisende Argumente. Viele Chinesinnen und
Chinesen scheinen diese Leistungen als unbezweifelbare Beweise für die
Überlegenheit des chinesischen Modells zu akzeptieren. Könnte es vielleicht
wirklich sein, dass Demokratie und eine offene Gesellschaft nicht in jedem Land
die beste Staatsform sind? Könnte es sein, dass menschliche Kosten zugunsten
des großen Ganzen einfach unvermeidbar sind, wie die Partei es behauptet?
Zweifel sind eine schmerzhafte Sache. Mit dem Zweifel beginnt der Verrat an den
Opfern und Helden von Tiananmen, der Verrat an den unabhängigen Geistern, an
der Freiheit und dem Verlangen nach Gerechtigkeit, die die menschliche Würde
ausmachen. Und doch: Die Belege dafür, dass Demokratie besser für das Auskommen
des Einzelnen ist, werden weniger.
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Tiananmen-Massaker
- "Wir haben verloren"Zum 30. Jahrestag des Massakers auf dem Tiananmen-Platz ziehen
Menschenrechtler Bilanz. Chinas Regierung unterdrücke die Bürger –
Pressefreiheit und Demokratie gebe es nicht© Foto: Ezra Acayan
All die Opfer
Vor 30 Jahren starb
der Ehemann von You Weijie (links) während der Proteste, obwohl er nicht zu den
Demonstranten gehörte. Bis heute weiß die mittlerweile 66-Jährige nicht, was
damals mit ihrem Mann geschah. © Nicolas Asfouri/AFP/Getty Images, VCG/VCG via Getty
Images
Diese Zweifel
verschwinden zu einem guten Teil allerdings wieder, wenn man auf den
menschlichen Preis blickt, den die Zeiten lange vor und dann auch nach dem
Tiananmen-Massaker gefordert haben. Nach der Gründung der Volksrepublik im Jahr
1949 haben politische Verfolgung und Maos rücksichtslose Wirtschaftsexperimente
die Leben von Millionen Menschen vernichtet. Das waren lange Jahre physischen
und psychischen Leids, eine finstere Zeit für Wissenschaft und Kunst. Aber auch
nach Tiananmen bleibt der Preis sehr hoch, den die Chinesen zu zahlen haben,
auch wenn das ökonomische Wachstum und die vergleichsweise friedlichen Zeiten die
Gesundheit und Bildung der Bevölkerung enorm verbessert haben. Aber jedes Mal
steigt der Preis wieder, wenn die Partei ihre Macht bedroht sieht oder es für
nötig hält, irgendein großes Ziel zu erreichen.
Mehr als zehn
Millionen Menschen wurden auf brutale Weise aus ihren Wohnungen und Häusern
vertrieben, um neuen Infrastruktur- und Immobilienprojekten Platz zu machen; 30
Millionen Kinder wurden durch giftiges Milchpulver geschädigt, weil die
Regierung völlig unzureichende Vorschriften erlassen hatte und ihre Reaktion
dann viel zu spät kam. Die Eltern, die Gerechtigkeit suchten, wurden ins
Gefängnis geworfen. Mindestens sechs Millionen Arbeiter sind aufgrund
unmenschlicher Arbeitsbedingungen an Staublunge erkrankt und erhalten keinerlei
Entschädigung. Der Gini-Koeffizient, der die Ungleichverteilung der Einkommen
und Vermögen misst, stieg 2015 über den Wert von 0,45 – die Einkommensschere
zwischen Arm und Reich ist in China heute so groß wie nirgendwo sonst auf der
Welt. Eine Million Angehörige von Minderheiten wurden ohne Rechtsverfahren in
sogenannte Umerziehungslager gesperrt. Alle Bürger werden von der Regierung mit
der weltweit avanciertesten Digitaltechnologie überwacht. Zahlreiche Aktivisten
und Menschenrechtsanwälte wurden und werden verfolgt und zum Schweigen
gebracht, nur weil sie rechtsstaatliche Verfahren fordern.
Der Pfad, den
die Kommunistische Partei für China gewählt
hat, hat von den Bürgern die Aufgabe des noch letzten Rests ihres freien
Willens verlangt. Wenn die Zensur ihre Muskeln spielen lässt, werden von heute
auf morgen Tausende harmloser Fantasyromane, von Jugendlichen online
geschrieben und gelesen, auf den Index gesetzt, weil sie "die positive
Energie des Sozialismus" nicht weitertrügen. Ruft die Regierung zur
"Wiederbelebung der hervorragenden traditionellen chinesischen Werte"
auf, müssen Tausende Schülerinnen und Schüler in konzertierter Aktion auf den
Schulhöfen ihren Eltern die Füße waschen, um ihre Treue zu Familienwerten zu
demonstrieren. Lehrer werden von ihren Schülern angezeigt, wenn sie "China
demütigen", indem sie über historische Ereignisse oder liberale Ideen
sprechen, die nicht mit der Parteilinie übereinstimmen. Neulich wurde ein
online veröffentlichter Artikel mit der Überschrift "Eine Ära der
Denunziation ist gekommen" angezeigt und prompt vom Netz genommen, weil er
Sorgen und Ängste angesichts solcher Stasi-Maßnahmen formulierte.
Vier Lektionen
Der 4. Juni war
aber nicht nur ein entscheidender historischer Moment für China, sondern auch
für den Rest der Welt. Die Kommunistische Partei Chinas hat ihn als Krise
erlebt und von da an mit großer Entschiedenheit den Wettbewerb mit den
demokratischen Staaten des Westens gesucht. Es gibt eine Menge Lektionen vom
heutigen China zu lernen, und sie erschöpfen sich nicht in der Frage, ob China
ein gutes oder schlechtes Modell darstellt. Geführt wird das Land von einem
anpassungsfähigen Regime, das viel vom Westen gelernt hat und die führende
Rolle in der Weltordnung übernehmen will. Manche seiner Experimente haben sich
als erfolgreich erwiesen; auf lange Sicht sind die Herausforderungen enorm, die
sich für die Demokratien ergeben.
Die erste
Lektion ist heute weithin akzeptiert: Die westliche Politik des diplomatischen
Engagements mit China hat nicht wie erwünscht dazu geführt, dass aus dem Land
ein Rechtsstaat und eine offene Gesellschaft geworden ist. Diese Politik hat
vielmehr einen starken Gegner der Demokratie und der offenen Gesellschaft
erschaffen. Aber war sie in jeder Hinsicht ein Fehlschlag? Da gehen die
Antworten selbst unter prodemokratischen Aktivisten auseinander.
Manche hielten
und halten die westliche Politik des Engagements nach dem Tiananmen-Massaker
für vollkommen falsch. Der im Exil lebende Schriftsteller Yu Jie ist einer von
ihnen. Seit den frühen Neunzigerjahren hat Yu prophezeit, dass die chinesische
Regierung ein System errichten würde, das eine begrenzte Version der
Marktwirtschaft mit einem voll ausgebildeten Autoritarismus verbindet. Darum
hat er die Politik des Engagements konsequent kritisiert und begrüßt heute lautstark den
Handelsstreit zwischen den Vereinigten
Staaten und China.
Es mag ein
Irrtum sein, womöglich auch unverantwortlich, darauf zu hoffen, dass der
Handelskrieg dem autoritären chinesischen System schaden könnte – aber der
dahinterstehende Impuls ist durchaus verständlich. Erst recht heute, da Peking an
einer Matrix arbeitet, die mithilfe westlicher Technologien die chinesischen
Bürger in der ganzen Welt zu kontrollieren versucht. Immerhin, so mag es
scheinen, hat jetzt mit den USA ein großes Land den Kampf gegen diesen
Leviathan aufgenommen, oder jedenfalls aufgehört, seinem Streben Vorschub zu
leisten. Ein vom Liberalen zum Konservativen gewandelter Freund schrieb mir,
bei aller Skepsis gegenüber den USA: "Europa hat sich als zu schwach
erwiesen. Wir müssen wohl darauf hoffen, dass das eine Übel dem anderen Übel
Grenzen setzt." Trump mag ein Ganove sein und den USA mag es weniger um
die Rechte und das Wohlergehen des chinesischen Volks gehen als um die
Verteidigung der eigenen Hegemonie als Weltmacht. Aber was hätten denn die
vermeintlich Klügeren und Besseren als die Trump-Administration anderes getan,
als durch ihre Geschäfte mit China diese schöne neue Welt nur immer reicher und
mächtiger zu machen?
Nicht alle
sehen die Folgen der Politik des Engagements so kritisch, manche sind sehr
skeptisch, ob der Handelskrieg Positives bewirkt. Ein anderer Veteran der
chinesischen Demokratiebewegung meinte, als ich ihn nach seiner Einschätzung
der westlichen Politik des Engagements fragte: Wenigstens seien sich die Bürger
in China heute ihrer Rechte stärker bewusst als früher.
Die westliche Politik gegenüber China
China ist eine
Gesellschaft in Bewegung – nicht nur trotz, sondern auch wegen der staatlichen
Politik. © Fred Dufour,
Johannes Eisele/AFP/Getty Images
Chang Ping,
chinesischer Kolumnist der Deutschen Welle und erfahrener Journalist, hat eher
die Sorge, dass der Handelskrieg der Kommunistischen Partei auf andere Weise in
die Hände spielen könnte. Peking könnte die Schuld für die unvermeidliche
Verlangsamung des ökonomischen Wachstums Washington in die Schuhe schieben und
bei der Gelegenheit den nationalen Chauvinismus in China und die
Einparteienherrschaft noch stärken. Und angesichts der Zensur in China
einerseits und der freien Presse in den USA andererseits werde Washington von
den Medien in beiden Ländern sehr viel heftiger kritisiert als
Peking.
Die Politik des
Engagements hat die Hoffnungen, man könne die Entwicklung in China tatsächlich
wesentlich beeinflussen, schon deshalb nicht erfüllt, weil der Westen keine
klare und einheitliche Vorstellung davon hatte, was er erreichen wollte – und
erst recht nicht davon, wie er es erreichen könnte. Als man begriff, dass die
Dinge sich ganz anders entwickelten, war es fast schon zu spät. Die Versuche
der Trump-Regierung, sich von China beim Handel, bei der wissenschaftlichen
Forschung und dem akademischen Austausch regelrecht zu entkoppeln, lassen sich
als verspäteter und zugleich überhasteter Versuch einer Kurskorrektur sehen. Es
ist, als wollte man eine Anzahl ineinander geschlungener Bäume auseinanderreißen:
Große Vorsicht ist geboten, beträchtlicher Schaden für alle Beteiligten in
jedem Fall unvermeidlich.
Die zweite
Lektion ist unangenehmer als die erste. Allen berechtigten Klagen über Chinas
Protektionismus und seinen Diebstahl geistigen Eigentums, die staatliche
Einmischung und mangelnde Rechte von Arbeitern zum Trotz: Die chinesische
Regierung hat auch einiges richtig gemacht. Manches hat man vom Westen
übernommen, anderes entspringt den eigenen Traditionen. Zu diesen Dingen
gehören: enorme Investitionen in Erziehung und Bildung, vonseiten des Staats
wie vieler chinesischer Familien selbst; die Förderung der Industrie und deren
Innovationskraft; eine dem Kollektiv verpflichtete Kultur, die einen Sinn für
Zugehörigkeit und soziale Unterstützung vermittelt; die Förderung des
Unternehmertums …
Das chinesische Bildungsideal
Betrachten wir
zum Beispiel die Ausgaben für Erziehung. Die chinesische Regierung hat
Universitäten massiv gefördert, um mit hohen Löhnen Talente aus aller Welt
anzuziehen. Chinesische Familien haben ihrerseits etwa im Jahr 2016
hochgerechnet 2,48 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Betreuung ihrer
Kinder in Kindergarten und Grundschulen investiert. 93 Prozent der chinesischen
Eltern engagieren für ihre Kinder private Nachhilfelehrer, das ist im
internationalen Vergleich der höchste Anteil weltweit.
Eine chinesische Freundin mit einer begabten Tochter klagte neulich, dass die
Mathe-Leistungen ihrer Tochter seit dem Umzug nach Deutschland im Vergleich zu
ihren Altersgenossen in China stark nachgelassen hätten. Es seien in
Deutschland einfach keine guten Nachhilfelehrer aufzutreiben.
Die hohen
Ausgaben für Bildung, die gesellschaftliche Wertschätzung für Erziehung und
Wettbewerb, die Belohnung harter Arbeit können zu weit gehen und unnötigen
Stress bei Kindern, Jugendlichen und Studierenden produzieren. Doch sie können
eben auch jeden Einzelnen motivieren, sein volles Potenzial auszuschöpfen. Auch
das ist eine Freiheit. Jedenfalls werden all jene, die herausragen wollen, in
China nicht bestraft oder frustriert. Und jede Gesellschaft braucht
herausragende Begabungen.
In den USA
wiederum, lange das Zielland chinesischer Forscherinnen und Forscher ebenso wie
Studierender, sind die (Aufenthalts-)Bedingungen für sie schwieriger geworden
unter der Trump-Administration. Das betrifft Ivy-League-Universitäten, aber
auch mögliche künftige Arbeitgeber in den USA. Ein Exodus chinesischer Talente
könnte folgen. In einem Interview erwähnte neulich Ren Zhengfei, der Gründer
von Huawei, etwa 50 Prozent der KI-Forscherinnen und -Forscher weltweit seien
mittlerweile Chinesen. "Wenn sie (von anderen Ländern) ausgewiesen werden,
dann heißen wir sie in China sehr willkommen. Sie könnten für Innovation auf
der untersten Ebene sorgen und ein Fundament für uns legen."
Warum das chinesische Modell keines für andere
Staaten sein darf
Chinesisches Leben
heute: in Hongkong (links) und in der Provinz Fujian (rechts) © Anthony Wallace, Johannes
Eisele/AFP/Getty Images
Die dritte
China-Lektion ist ganz klar: China ist eine gewaltige Bedrohung für die
Demokratien weltweit, auch wenn es immer von einem "friedlichen
Aufstieg" spricht. Davon zeugen nicht nur die rasch wachsenden Ausgaben
für das chinesische Militär und die Ausweitung seiner Zensurpraktiken. Solange
die chinesische Regierung willkürlich in Gerichtsprozesse eingreift, solange
Anwälte in China ein Examen ablegen müssen, das ihre Parteiloyalität prüft, ist
China ganz sicher kein verlässlicher Kandidat für eine führende Rolle in der
Weltordnung.
Die
demokratischen Nationen sollten ihre Beziehungen zu China im Hightechsektor
korrigieren, egal wie schmerzhaft oder schwierig das ist – schließlich ist
China längst fast unlöslich mit der globalen Entwicklung von Wirtschaft und
Technologie verbunden. Chinesische Unternehmen vom Wettbewerb auszuschließen,
ist unklug. Es bleibt aber die Pflicht der internationalen Gemeinschaft, die Entwicklung
des Überwachungsstaats in China selbst nicht zu unterstützen. Es wird kein
neues Tiananmen-Massaker geben. Doch es gibt viele kleine Übergriffe des
Staates, still und leise ausgeführt, von der Razzia bis zum Mord. Das beginnt
mit der Auslöschung der digitalen Existenz eines Autofahrers, der sich über die
Polizei beschwert; es reicht bis zur Eliminierung eines Studentenführers, der
Arbeiter bei der Verteidigung ihrer Rechte unterstützt. Dank der digitalen
Überwachung und der Ausnutzung von Big Data lässt sich alle aufkommende Kritik
und jeder kleinste Protest in China womöglich bald im Vorhinein unterbinden.
Derartiges kann kein Vorbild für andere Staaten sein.
Die letzte
Lektion kommt nicht aus China, sondern betrifft vor allem den Westen: Wir selbst
müssen die Verehrung von Konsum und Vermögenswachstum beenden. "Etwas an
der Art, wie wir leben, ist zutiefst verkehrt", schrieb der
britisch-amerikanische Historiker Tony Judt vor knapp einem Jahrzehnt in seiner
Kapitalismuskritik Dem Land geht es schlecht: "30 Jahre lang
haben wir das selbstsüchtige Streben nach materiellen Gütern zur Tugend
erklärt: ja, dieses Streben ist inzwischen das einzige, das wir noch an
kollektiven Zielen besitzen. Wir wissen, was die Dinge kosten, aber wir haben
keine Idee, was sie wert sind." Judt beschrieb die Missstände, die der
Neoliberalismus in den angelsächsischen Ländern seit Reagan und Thatcher mit
sich gebracht hat. Heute regieren diese Missstände auch in China.
Die Grenzen auch des chinesischen Wachstums
Das chinesische
Modell ist keine völlig einzigartige Erfindung. Es ist ein Hybrid aus
Staatswirtschaft und einem aus der angelsächsischen Welt übernommenen
Neoliberalismus. Die Staatswirtschaft ist für die Kommunistische Partei der
Schlüssel zur absoluten Gewalt; der Neoliberalismus ist hauptverantwortlich für
das chinesische Wirtschaftswunder und die damit verbundene globale
Machtverschiebung zu Chinas Gunsten. Aber das chinesische Modell hat seine
Grenzen erreicht: die Umweltverschmutzung; der Zynismus und die Wut, die sich
angesichts der auseinanderklaffenden Vermögen und des Missbrauchs der
Regierungsgewalt in der Gesellschaft ausbreiten; dazu noch die höchsten
Schulden, die je ein Land in der Geschichte der Menschheit gehabt hat … Die
Grundlage der unendlichen Einparteienherrschaft, nämlich ein niemals endendes
ökonomisches Wachstum, wird absehbar schwinden.
Damit gerät der
Weg, den China seit dem Tiananmen-Massaker eingeschlagen hat, an ein logisches
Ende. Die Welt braucht dringend ein anderes Entwicklungsmodell, das umsetzbar
und nachhaltig ist, das Freiheiten bewahrt und mehr Gleichheit für die Menschen
bringt. Sollte der Handelsstreit zwischen der alten Großmacht USA und der
aufstrebenden Großmacht China der Vorbote eines neuen Kalten
Kriegssein, dann wäre dessen einzig wünschenswerter Ausgang
folgender: Es müsste ein Wettbewerb darum beginnen, ein neues Modell des
Regierens und Wirtschaftens zu finden.
Übersetzung:
Robert Meyer
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