Commentary on Political Economy

Sunday 9 June 2019

CRUSHING THE HAN CHINESE EVIL MONSTER

We re-publish here in full a lengthy essay by a Chinese journalist residing in Germany but writing under a pseudonym. With fulsome apologies for the German, the gist of the presentation here is that Western capitalism (which she names by its ideological moniker, "Neoliberalism") has fed an Evil Monster in the semblance of the Chinese Communist Party that has diabolically exploited the Western capitalists' search for profit in order to build itself into a global kleptocracy that now threatens to engulf the world itself, even through the instrumental use of the Chinese Diaspora (through migration, education and tourism)!

As friends would know, this is something that we have been arguing not in 2019, but since the ouset of this Blog in 2011. Still, it is comforting that eight years too late, the democratic world is starting to confront the Chinese Monster with the brute and ruthless violence that it evokes and that it richly deserves!


Tiananmen-Massaker:Vom Traum ist wenig übrig
Der 30. Jahrestag des Tiananmen-Massakers ist ein Moment zum Innehalten, auch für den Westen: Welche Lektionen lassen sich aus der Entwicklung Chinas seither lernen?
Von Franka Lu
4. Juni 2019, 20:35 Uhr146 Kommentare
Tiananmen-Massaker: Die Bilder, die sich der Westen unter anderem von China macht: eine Teilnehmerin der diesjährigen Sitzung des Nationalen Volkskongresses im März (links); ein Wachsoldat der Volksbefreiungsarmee beim Empfang eines ausländischen Staatsgastes (rechts)
Die Bilder, die sich der Westen unter anderem von China macht: eine Teilnehmerin der diesjährigen Sitzung des Nationalen Volkskongresses im März (links); ein Wachsoldat der Volksbefreiungsarmee beim Empfang eines ausländischen Staatsgastes (rechts) © Kevin Frayer/Getty Images, Nicolas Asfouri/AFP/Getty Images
Vom Traum ist wenig übrig
Franka Lu ist eine chinesische Journalistin und Unternehmerin. Sie arbeitet in China und Deutschland. In dieser ZEIT-ONLINE-Serie berichtet sie kritisch über Leben, Kultur und Alltag in China. Um ihr berufliches und privates Umfeld zu schützen, schreibt sie unter einem Pseudonym.
Der 30. Jahrestag des Tiananmen-Massakers am 4. Juni ist für China ein heikler und entscheidender Moment. Für den Rest der Welt allerdings auch. Vor 30 Jahren beschloss die Kommunistische Partei Chinas, ihre eigenen Staatsbürger zu ermorden, um die absolute Macht zu behalten. Dann entwickelte sie eine hybride Ökonomie, um den Herausforderungen der Welt nach dem Kalten Krieg gewachsen zu sein. Seitdem wurde das vor 30 Jahren vergossene Blut in China weithin vergessen, der Traum der Demokratie verraten, ein neues autoritäres Staatsmodell konstruiert und gestärkt. Und im Westen: Vom Versprechen des Neoliberalismus, mit der Befreiung der Marktkräfte weltweiten Frieden und Wohlstand zu bringen, ist wenig geblieben. An die Globalisierung der liberalen Ordnung glaubt kaum jemand mehr, Nationalismen kehren zurück. Es ist der richtige Augenblick, nicht nur an die Opfer und die Helden in China zu erinnern, sondern auch die ernüchternden und widersprüchlichen Lehren aus der Entwicklung des Landes seither zu ziehen. Beides wird helfen, in diesen verwirrenden Zeiten einen klareren Blick in die Zukunft zu werfen.
Die Erinnerung an den 4. Juni zu bewahren, das war und ist in China so anstrengend wie gefährlich, ein steter Kampf gegen die Zensur und die Machtmaschine der Regierung. Wenig ist bewahrt von den Geschichten und Zeugnissen des chinesischen Traums von der Demokratie. In einem kürzlich im Guardian veröffentlichten Artikel haben Louisa Lim und Ilaria Maria Sala beschrieben, wie gründlich "Pekings großes Vergessen", diese Auslöschung der Erinnerung eines ganzen Volkes, gelungen ist: "Wir haben diesen Moment des Schocks und der Verwirrung miterlebt und den einen Satz in vielen Versionen gehört: 'Ich war da. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Aber ich habe so lange nicht darüber gesprochen, dass ich es aus der Erinnerung verdrängt habe. Bis zu diesem Augenblick hatte ich buchstäblich vergessen, dass ich dort gewesen bin.'" Von der Mehrheit der Bevölkerung ganz zu schweigen, die nicht "dort" war – und die Leidenschaft, die Solidarität, die Hoffnung, den Zorn, die Kugeln und das Blut nicht erlebt hat.
"LU ERKLÄRT CHINA":Weitere Folgen unserer Serie
https://img.zeit.de/kultur/2019-05/china-eu-europaeische-union-aussenpolitik3/wide__180x101__desktop

Wer die Erinnerung unterdrückt, macht das Nachdenken unmöglich. Den Menschen wird eine verzerrte Fassung von Karl Marx' historischem Materialismus eingetrichtert: Danach ist "der Lauf der Geschichte" durch "objektive Kräfte" bestimmt. Die Bürger müssen alle Macht an die weise und allmächtige Kommunistische Partei Chinas übertragen, die die Nation durch die tückischen Strudel dieser Kräfte navigiert. Andernfalls herrschten Desaster und Chaos im Land. Weil das Nachdenken über Tiananmen unterdrückt wird, gibt es keine Vorstellung einer anderen Zukunft mehr; zumindest erscheint es so. Die Leute wissen Bescheid über die elende ökonomische Lage der früheren sowjetischen Staaten, über die Gewalt in Syrien nach dem Arabischen Frühling – aber vom Fortschritt etwa in Tschechien oder Tunesien wissen sie wenig. Vom Einzelnen wird nicht mehr verlangt, als dass er oder sie hart arbeitet und die Partei unterstützt. Die Belohnung: wachsender Reichtum. Und wenn sie reicher werden, glauben viele gern, die Partei sei im Besitz der letztgültigen Wahrheit.
Mit dem Zweifel beginnt der Verrat
Für die Chinesinnen und Chinesen, die andere Vorstellungen haben, und für die Nichtchinesen, die mit der Demokratiebewegung in China sympathisieren, waren die 30 Jahre seit Tiananmen eine harte Probe: für ihre Gefühle, ihr Gewissen und ihre Werte. Vor 30 Jahren war Demokratie der Traum, dessen Verwirklichung die Chinesen herbeisehnten. Von diesem Traum ist wenig übrig. Und jeder Versuch, ihn in die Öffentlichkeit zurückzubringen und wiederzubeleben, bedarf enormer Anstrengungen. "Ist es denkbar, dass ich mich getäuscht habe und dass die Partei recht gehabt hat?" Diese Frage haben sich früher oder später viele einmal gestellt, gerade angesichts der Krisen und Rückschritte, die der Westen erlebt hat.
Schließlich sind der wachsende Wohlstand, die globale Macht Chinas, die technologischen Innovationen, die enorm gestiegene Lebenserwartung und der gewachsene Bildungsstand schwer von der Hand zu weisende Argumente. Viele Chinesinnen und Chinesen scheinen diese Leistungen als unbezweifelbare Beweise für die Überlegenheit des chinesischen Modells zu akzeptieren. Könnte es vielleicht wirklich sein, dass Demokratie und eine offene Gesellschaft nicht in jedem Land die beste Staatsform sind? Könnte es sein, dass menschliche Kosten zugunsten des großen Ganzen einfach unvermeidbar sind, wie die Partei es behauptet? Zweifel sind eine schmerzhafte Sache. Mit dem Zweifel beginnt der Verrat an den Opfern und Helden von Tiananmen, der Verrat an den unabhängigen Geistern, an der Freiheit und dem Verlangen nach Gerechtigkeit, die die menschliche Würde ausmachen. Und doch: Die Belege dafür, dass Demokratie besser für das Auskommen des Einzelnen ist, werden weniger.
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Tiananmen-Massaker - "Wir haben verloren"Zum 30. Jahrestag des Massakers auf dem Tiananmen-Platz ziehen Menschenrechtler Bilanz. Chinas Regierung unterdrücke die Bürger – Pressefreiheit und Demokratie gebe es nicht© Foto: Ezra Acayan
All die Opfer
Tiananmen-Massaker: Vor 30 Jahren starb der Ehemann von You Weijie (links) während der Proteste, obwohl er nicht zu den Demonstranten gehörte. Bis heute weiß die mittlerweile 66-Jährige nicht, was damals mit ihrem Mann geschah.
Vor 30 Jahren starb der Ehemann von You Weijie (links) während der Proteste, obwohl er nicht zu den Demonstranten gehörte. Bis heute weiß die mittlerweile 66-Jährige nicht, was damals mit ihrem Mann geschah. © Nicolas Asfouri/AFP/Getty Images, VCG/VCG via Getty Images
Diese Zweifel verschwinden zu einem guten Teil allerdings wieder, wenn man auf den menschlichen Preis blickt, den die Zeiten lange vor und dann auch nach dem Tiananmen-Massaker gefordert haben. Nach der Gründung der Volksrepublik im Jahr 1949 haben politische Verfolgung und Maos rücksichtslose Wirtschaftsexperimente die Leben von Millionen Menschen vernichtet. Das waren lange Jahre physischen und psychischen Leids, eine finstere Zeit für Wissenschaft und Kunst. Aber auch nach Tiananmen bleibt der Preis sehr hoch, den die Chinesen zu zahlen haben, auch wenn das ökonomische Wachstum und die vergleichsweise friedlichen Zeiten die Gesundheit und Bildung der Bevölkerung enorm verbessert haben. Aber jedes Mal steigt der Preis wieder, wenn die Partei ihre Macht bedroht sieht oder es für nötig hält, irgendein großes Ziel zu erreichen.
Mehr als zehn Millionen Menschen wurden auf brutale Weise aus ihren Wohnungen und Häusern vertrieben, um neuen Infrastruktur- und Immobilienprojekten Platz zu machen; 30 Millionen Kinder wurden durch giftiges Milchpulver geschädigt, weil die Regierung völlig unzureichende Vorschriften erlassen hatte und ihre Reaktion dann viel zu spät kam. Die Eltern, die Gerechtigkeit suchten, wurden ins Gefängnis geworfen. Mindestens sechs Millionen Arbeiter sind aufgrund unmenschlicher Arbeitsbedingungen an Staublunge erkrankt und erhalten keinerlei Entschädigung. Der Gini-Koeffizient, der die Ungleichverteilung der Einkommen und Vermögen misst, stieg 2015 über den Wert von 0,45 – die Einkommensschere zwischen Arm und Reich ist in China heute so groß wie nirgendwo sonst auf der Welt. Eine Million Angehörige von Minderheiten wurden ohne Rechtsverfahren in sogenannte Umerziehungslager gesperrt. Alle Bürger werden von der Regierung mit der weltweit avanciertesten Digitaltechnologie überwacht. Zahlreiche Aktivisten und Menschenrechtsanwälte wurden und werden verfolgt und zum Schweigen gebracht, nur weil sie rechtsstaatliche Verfahren fordern.
Der Pfad, den die Kommunistische Partei für China gewählt hat, hat von den Bürgern die Aufgabe des noch letzten Rests ihres freien Willens verlangt. Wenn die Zensur ihre Muskeln spielen lässt, werden von heute auf morgen Tausende harmloser Fantasyromane, von Jugendlichen online geschrieben und gelesen, auf den Index gesetzt, weil sie "die positive Energie des Sozialismus" nicht weitertrügen. Ruft die Regierung zur "Wiederbelebung der hervorragenden traditionellen chinesischen Werte" auf, müssen Tausende Schülerinnen und Schüler in konzertierter Aktion auf den Schulhöfen ihren Eltern die Füße waschen, um ihre Treue zu Familienwerten zu demonstrieren. Lehrer werden von ihren Schülern angezeigt, wenn sie "China demütigen", indem sie über historische Ereignisse oder liberale Ideen sprechen, die nicht mit der Parteilinie übereinstimmen. Neulich wurde ein online veröffentlichter Artikel mit der Überschrift "Eine Ära der Denunziation ist gekommen" angezeigt und prompt vom Netz genommen, weil er Sorgen und Ängste angesichts solcher Stasi-Maßnahmen formulierte.
Vier Lektionen
Der 4. Juni war aber nicht nur ein entscheidender historischer Moment für China, sondern auch für den Rest der Welt. Die Kommunistische Partei Chinas hat ihn als Krise erlebt und von da an mit großer Entschiedenheit den Wettbewerb mit den demokratischen Staaten des Westens gesucht. Es gibt eine Menge Lektionen vom heutigen China zu lernen, und sie erschöpfen sich nicht in der Frage, ob China ein gutes oder schlechtes Modell darstellt. Geführt wird das Land von einem anpassungsfähigen Regime, das viel vom Westen gelernt hat und die führende Rolle in der Weltordnung übernehmen will. Manche seiner Experimente haben sich als erfolgreich erwiesen; auf lange Sicht sind die Herausforderungen enorm, die sich für die Demokratien ergeben.
Die erste Lektion ist heute weithin akzeptiert: Die westliche Politik des diplomatischen Engagements mit China hat nicht wie erwünscht dazu geführt, dass aus dem Land ein Rechtsstaat und eine offene Gesellschaft geworden ist. Diese Politik hat vielmehr einen starken Gegner der Demokratie und der offenen Gesellschaft erschaffen. Aber war sie in jeder Hinsicht ein Fehlschlag? Da gehen die Antworten selbst unter prodemokratischen Aktivisten auseinander.
Manche hielten und halten die westliche Politik des Engagements nach dem Tiananmen-Massaker für vollkommen falsch. Der im Exil lebende Schriftsteller Yu Jie ist einer von ihnen. Seit den frühen Neunzigerjahren hat Yu prophezeit, dass die chinesische Regierung ein System errichten würde, das eine begrenzte Version der Marktwirtschaft mit einem voll ausgebildeten Autoritarismus verbindet. Darum hat er die Politik des Engagements konsequent kritisiert und begrüßt heute lautstark den Handelsstreit zwischen den Vereinigten Staaten und China.
Es mag ein Irrtum sein, womöglich auch unverantwortlich, darauf zu hoffen, dass der Handelskrieg dem autoritären chinesischen System schaden könnte – aber der dahinterstehende Impuls ist durchaus verständlich. Erst recht heute, da Peking an einer Matrix arbeitet, die mithilfe westlicher Technologien die chinesischen Bürger in der ganzen Welt zu kontrollieren versucht. Immerhin, so mag es scheinen, hat jetzt mit den USA ein großes Land den Kampf gegen diesen Leviathan aufgenommen, oder jedenfalls aufgehört, seinem Streben Vorschub zu leisten. Ein vom Liberalen zum Konservativen gewandelter Freund schrieb mir, bei aller Skepsis gegenüber den USA: "Europa hat sich als zu schwach erwiesen. Wir müssen wohl darauf hoffen, dass das eine Übel dem anderen Übel Grenzen setzt." Trump mag ein Ganove sein und den USA mag es weniger um die Rechte und das Wohlergehen des chinesischen Volks gehen als um die Verteidigung der eigenen Hegemonie als Weltmacht. Aber was hätten denn die vermeintlich Klügeren und Besseren als die Trump-Administration anderes getan, als durch ihre Geschäfte mit China diese schöne neue Welt nur immer reicher und mächtiger zu machen?
Nicht alle sehen die Folgen der Politik des Engagements so kritisch, manche sind sehr skeptisch, ob der Handelskrieg Positives bewirkt. Ein anderer Veteran der chinesischen Demokratiebewegung meinte, als ich ihn nach seiner Einschätzung der westlichen Politik des Engagements fragte: Wenigstens seien sich die Bürger in China heute ihrer Rechte stärker bewusst als früher.
Die westliche Politik gegenüber China
Tiananmen-Massaker: China ist eine Gesellschaft in Bewegung – nicht nur trotz, sondern auch wegen der staatlichen Politik.
China ist eine Gesellschaft in Bewegung – nicht nur trotz, sondern auch wegen der staatlichen Politik. © Fred Dufour, Johannes Eisele/AFP/Getty Images
Chang Ping, chinesischer Kolumnist der Deutschen Welle und erfahrener Journalist, hat eher die Sorge, dass der Handelskrieg der Kommunistischen Partei auf andere Weise in die Hände spielen könnte. Peking könnte die Schuld für die unvermeidliche Verlangsamung des ökonomischen Wachstums Washington in die Schuhe schieben und bei der Gelegenheit den nationalen Chauvinismus in China und die Einparteienherrschaft noch stärken. Und angesichts der Zensur in China einerseits und der freien Presse in den USA andererseits werde Washington von den Medien in beiden Ländern sehr viel heftiger kritisiert als Peking.
Die Politik des Engagements hat die Hoffnungen, man könne die Entwicklung in China tatsächlich wesentlich beeinflussen, schon deshalb nicht erfüllt, weil der Westen keine klare und einheitliche Vorstellung davon hatte, was er erreichen wollte – und erst recht nicht davon, wie er es erreichen könnte. Als man begriff, dass die Dinge sich ganz anders entwickelten, war es fast schon zu spät. Die Versuche der Trump-Regierung, sich von China beim Handel, bei der wissenschaftlichen Forschung und dem akademischen Austausch regelrecht zu entkoppeln, lassen sich als verspäteter und zugleich überhasteter Versuch einer Kurskorrektur sehen. Es ist, als wollte man eine Anzahl ineinander geschlungener Bäume auseinanderreißen: Große Vorsicht ist geboten, beträchtlicher Schaden für alle Beteiligten in jedem Fall unvermeidlich.
Die zweite Lektion ist unangenehmer als die erste. Allen berechtigten Klagen über Chinas Protektionismus und seinen Diebstahl geistigen Eigentums, die staatliche Einmischung und mangelnde Rechte von Arbeitern zum Trotz: Die chinesische Regierung hat auch einiges richtig gemacht. Manches hat man vom Westen übernommen, anderes entspringt den eigenen Traditionen. Zu diesen Dingen gehören: enorme Investitionen in Erziehung und Bildung, vonseiten des Staats wie vieler chinesischer Familien selbst; die Förderung der Industrie und deren Innovationskraft; eine dem Kollektiv verpflichtete Kultur, die einen Sinn für Zugehörigkeit und soziale Unterstützung vermittelt; die Förderung des Unternehmertums …
Das chinesische Bildungsideal
Betrachten wir zum Beispiel die Ausgaben für Erziehung. Die chinesische Regierung hat Universitäten massiv gefördert, um mit hohen Löhnen Talente aus aller Welt anzuziehen. Chinesische Familien haben ihrerseits etwa im Jahr 2016 hochgerechnet 2,48 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Betreuung ihrer Kinder in Kindergarten und Grundschulen investiert. 93 Prozent der chinesischen Eltern engagieren für ihre Kinder private Nachhilfelehrer, das ist im internationalen Vergleich der höchste Anteil weltweit. Eine chinesische Freundin mit einer begabten Tochter klagte neulich, dass die Mathe-Leistungen ihrer Tochter seit dem Umzug nach Deutschland im Vergleich zu ihren Altersgenossen in China stark nachgelassen hätten. Es seien in Deutschland einfach keine guten Nachhilfelehrer aufzutreiben.
Die hohen Ausgaben für Bildung, die gesellschaftliche Wertschätzung für Erziehung und Wettbewerb, die Belohnung harter Arbeit können zu weit gehen und unnötigen Stress bei Kindern, Jugendlichen und Studierenden produzieren. Doch sie können eben auch jeden Einzelnen motivieren, sein volles Potenzial auszuschöpfen. Auch das ist eine Freiheit. Jedenfalls werden all jene, die herausragen wollen, in China nicht bestraft oder frustriert. Und jede Gesellschaft braucht herausragende Begabungen.
In den USA wiederum, lange das Zielland chinesischer Forscherinnen und Forscher ebenso wie Studierender, sind die (Aufenthalts-)Bedingungen für sie schwieriger geworden unter der Trump-Administration. Das betrifft Ivy-League-Universitäten, aber auch mögliche künftige Arbeitgeber in den USA. Ein Exodus chinesischer Talente könnte folgen. In einem Interview erwähnte neulich Ren Zhengfei, der Gründer von Huawei, etwa 50 Prozent der KI-Forscherinnen und -Forscher weltweit seien mittlerweile Chinesen. "Wenn sie (von anderen Ländern) ausgewiesen werden, dann heißen wir sie in China sehr willkommen. Sie könnten für Innovation auf der untersten Ebene sorgen und ein Fundament für uns legen." 
Warum das chinesische Modell keines für andere Staaten sein darf
Tiananmen-Massaker: Chinesisches Leben heute: in Hongkong (links) und in der Provinz Fujian (rechts)
Chinesisches Leben heute: in Hongkong (links) und in der Provinz Fujian (rechts) © Anthony Wallace, Johannes Eisele/AFP/Getty Images
Die dritte China-Lektion ist ganz klar: China ist eine gewaltige Bedrohung für die Demokratien weltweit, auch wenn es immer von einem "friedlichen Aufstieg" spricht. Davon zeugen nicht nur die rasch wachsenden Ausgaben für das chinesische Militär und die Ausweitung seiner Zensurpraktiken. Solange die chinesische Regierung willkürlich in Gerichtsprozesse eingreift, solange Anwälte in China ein Examen ablegen müssen, das ihre Parteiloyalität prüft, ist China ganz sicher kein verlässlicher Kandidat für eine führende Rolle in der Weltordnung.
Die demokratischen Nationen sollten ihre Beziehungen zu China im Hightechsektor korrigieren, egal wie schmerzhaft oder schwierig das ist – schließlich ist China längst fast unlöslich mit der globalen Entwicklung von Wirtschaft und Technologie verbunden. Chinesische Unternehmen vom Wettbewerb auszuschließen, ist unklug. Es bleibt aber die Pflicht der internationalen Gemeinschaft, die Entwicklung des Überwachungsstaats in China selbst nicht zu unterstützen. Es wird kein neues Tiananmen-Massaker geben. Doch es gibt viele kleine Übergriffe des Staates, still und leise ausgeführt, von der Razzia bis zum Mord. Das beginnt mit der Auslöschung der digitalen Existenz eines Autofahrers, der sich über die Polizei beschwert; es reicht bis zur Eliminierung eines Studentenführers, der Arbeiter bei der Verteidigung ihrer Rechte unterstützt. Dank der digitalen Überwachung und der Ausnutzung von Big Data lässt sich alle aufkommende Kritik und jeder kleinste Protest in China womöglich bald im Vorhinein unterbinden. Derartiges kann kein Vorbild für andere Staaten sein.
Die letzte Lektion kommt nicht aus China, sondern betrifft vor allem den Westen: Wir selbst müssen die Verehrung von Konsum und Vermögenswachstum beenden. "Etwas an der Art, wie wir leben, ist zutiefst verkehrt", schrieb der britisch-amerikanische Historiker Tony Judt vor knapp einem Jahrzehnt in seiner Kapitalismuskritik Dem Land geht es schlecht: "30 Jahre lang haben wir das selbstsüchtige Streben nach materiellen Gütern zur Tugend erklärt: ja, dieses Streben ist inzwischen das einzige, das wir noch an kollektiven Zielen besitzen. Wir wissen, was die Dinge kosten, aber wir haben keine Idee, was sie wert sind." Judt beschrieb die Missstände, die der Neoliberalismus in den angelsächsischen Ländern seit Reagan und Thatcher mit sich gebracht hat. Heute regieren diese Missstände auch in China.
Die Grenzen auch des chinesischen Wachstums
Das chinesische Modell ist keine völlig einzigartige Erfindung. Es ist ein Hybrid aus Staatswirtschaft und einem aus der angelsächsischen Welt übernommenen Neoliberalismus. Die Staatswirtschaft ist für die Kommunistische Partei der Schlüssel zur absoluten Gewalt; der Neoliberalismus ist hauptverantwortlich für das chinesische Wirtschaftswunder und die damit verbundene globale Machtverschiebung zu Chinas Gunsten. Aber das chinesische Modell hat seine Grenzen erreicht: die Umweltverschmutzung; der Zynismus und die Wut, die sich angesichts der auseinanderklaffenden Vermögen und des Missbrauchs der Regierungsgewalt in der Gesellschaft ausbreiten; dazu noch die höchsten Schulden, die je ein Land in der Geschichte der Menschheit gehabt hat … Die Grundlage der unendlichen Einparteienherrschaft, nämlich ein niemals endendes ökonomisches Wachstum, wird absehbar schwinden.
Damit gerät der Weg, den China seit dem Tiananmen-Massaker eingeschlagen hat, an ein logisches Ende. Die Welt braucht dringend ein anderes Entwicklungsmodell, das umsetzbar und nachhaltig ist, das Freiheiten bewahrt und mehr Gleichheit für die Menschen bringt. Sollte der Handelsstreit zwischen der alten Großmacht USA und der aufstrebenden Großmacht China der Vorbote eines neuen Kalten Kriegssein, dann wäre dessen einzig wünschenswerter Ausgang folgender: Es müsste ein Wettbewerb darum beginnen, ein neues Modell des Regierens und Wirtschaftens zu finden.
Übersetzung: Robert Meyer

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