Wieder so ein Tag, an dem es heißt, es gebe Fortschritte bei den ukrainisch-russischen Gesprächen über ein Ende des Kriegs oder wenigstens eine Waffenruhe, "Schritt für Schritt, aber sie gehen voran", wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte. Er räumte ein: "Es ist sehr schwierig. Manchmal ist es skandalös." Aber immerhin: "Wir arbeiten weiterhin auf verschiedenen Ebenen, um Russland zu ermutigen, sich in Richtung Frieden zu bewegen." Aus dem Kreml dagegen hatte es zuletzt am Dienstag geheißen: "Ein gewisser Prozess findet statt, aber wir würden uns wünschen, dass er energischer und substanzieller ist." Oder an diesem Mittwoch der russische Außenminister Sergej Lawrow, der vor weiteren Waffenlieferungen warnte und sich darüber beschwerte, insbesondere die USA wollten "uns offenbar so lange wie möglich in einem Zustand militärischer Aktionen halten" und "viele würden gern dafür sorgen, dass die Verhandlungen in eine Sackgasse geraten". Was wohl eher bedeutet: Die Ukraine fügt sich uns nicht – also schießen wir weiter.

Man darf die endlosen Verhandlungen der Delegationen Russlands und der Ukraine nicht falsch verstehen. Mag die militärische Lage in diesem Krieg auch bisweilen so aussehen, als sei für niemanden mehr etwas zu gewinnen: Die fortlaufenden Gespräche sind kaum dazu geeignet, einen Frieden zu schließen, solang sich Wladimir Putins Kalkül nicht grundsätzlich verändert. Es geht hier schließlich nicht um einen Konflikt zwischen zwei Staaten, die lediglich über widerstrebende Interessen aneinandergeraten wären und deren Ausgleich auf dem Wege eines Kompromisses die bewaffnete Auseinandersetzung beruhigen oder gar beenden könnte – wenn bloß beide Seiten endlich eine gemeinsame Lösung fänden.

Sicher mögen viele, die auf ein Ende der Gewalt hoffen, sich das so wünschen: reden statt schießen, und dann wird alles gut. Doch dieser Krieg wird vorerst nicht am Verhandlungstisch entschieden. Das Überleben der Ukraine – und darum geht es zuerst – muss erkämpft werden.

Was hast du dagegen getan?

Denn nahezu gar nichts deutet darauf hin, dass die russische Führung von ihren Kriegszielen Abstand nehmen würde, die irgendwo zwischen Unterwerfung und Vernichtung der Ukraine als Staat und Nation liegen – wohlgemerkt nur als erster Schritt. Und nein, es geht Putin nicht nüchtern darum, wie sich ein ukrainischer Staat in Relation zur bestehenden europäischen Sicherheitsordnung aufstellt, wie er innenpolitisch mit Sprache und Rechten seiner ethnisch russischen Bevölkerung umgeht oder was auch immer manche Beobachter von außen als Kompromiss empfehlen mögen, um ihn zufriedenzustellen.

Dem Krieg in der Ukraine liegen keine berechtigten Sicherheits- oder sonstigen Interessen Russlands zugrunde, die es nun eben robust durchzusetzen versuchte. Was russische Truppen dort betreiben, lässt sich längst in Teilen als Völkermord qualifizieren: die Einkesselung und flächendeckende Bombardierung insbesondere der Metropole Mariupol, die nahezu von jeder Versorgung abgeschnitten ist; der Beschuss ziviler, ja medizinischer Einrichtungen und fliehender Menschen, für die vermeintlich "humanitäre Korridore" erst recht keinen Schutz bieten; die als Evakuierung verbrämte Verschleppung vor allem von ukrainischen Frauen und Kindern nach Russland; die Jagd auf Journalisten und politische wie intellektuelle Eliten, die auf Listen stehen – der Vorsatz ist offensichtlich, die Verbrechen sind monströs. Es ist die Art von Krieg, über den Kinder nach gutem Geschichtsunterricht später fragen werden: Was hast du dagegen getan?

Nun, wir haben uns bei jeder Gelegenheit solidarisch erklärt, haben gegen den Krieg angeredet, Geflüchtete in unserer Mitte aufgenommen, all das. Und durchaus erkannt, dass wir mehr tun müssen: Sanktionen, beispiellos hart und geschlossen, massenweise Waffen, die den Ukrainerinnen und Ukrainern ihre Verteidigung ermöglichen – Deutschland fiel es dabei besonders schwer, von der Illusion Abstand zu nehmen, mit Putins Russland verbinde uns viel und es gebe die Chance auf Verständigung. Aber das Zögern bleibt, umfassende Energiesanktionen gehen dann doch zu sehr an den bequemen Wohlstand, den der Verzicht auf schmutziges Gas und Öl womöglich bedroht. Wenigstens scheint in diesen Tagen klar, dass allein die Ukrainerinnen und Ukrainer entscheiden können, ob sie weiterkämpfen oder aufgeben und zu welchen Bedingungen sie eine Vereinbarung mit Russland eingehen würden – ob, wie und wann sie zu Kompromissen bereit sind.

Die Macht des Aggressors muss gebrochen werden

Aber wie soll eine Annäherung möglich sein zwischen dem Willen zur Vernichtung und dem aufgezwungenen Kampf um das Überleben in Freiheit? Richtig, es kann sie kaum geben. Wenn die Ukraine verliert, existiert dieses Land nicht mehr, und jeder kann der Nächste sein. Das zu verhindern, ist das Ziel von Waffenlieferungen und Sanktionen, wenn schon der Westen aus guten Gründen nicht selbst militärisch handeln kann: Einen Sieg darf es für Putin nicht geben, die Macht des Aggressors muss gebrochen werden.

Das gilt im Übrigen auch dann noch, wenn Russland irgendwann bereit sein sollte, vorerst Ruhe zu geben. Die Verhandlungen müssen darauf zielen, eine Nachkriegsordnung zu errichten, die eine weitere Bedrohung auf Dauer eindämmt. Dazu braucht es eine Ukraine, die sich verteidigen kann und harte Garantien des Westens, der sich auch selbst noch viel stärker schützen muss. Und niemand darf sich vormachen, mit Putin und seinem Regime könne es je wieder eine Beziehung geben, die irgendwie normal wäre: freundschaftlicher Handel, gemeinsame Interessen, Verständigung über Regeln bloß durch Reden. Aus dieser Welt hat er sich verabschiedet und sein Land mit aller Gewalt der Repression und Verblendung mitgezogen, eine Rückkehr kann es nur ohne ihn geben.