Commentary on Political Economy

Monday 15 May 2023

 „PARTEI“ DER NICHTWÄHLER

Keine Antworten für die Unzufriedenen

EIN KOMMENTAR Von Jasper von Altenbockum
15.05.2023
, 21:21
Der Kieler Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Kiel
Zwei Wahlen, zwei Mal ging nur jeder Zweite zur Wahl. Nur Protestparteien halten diesen Trend auf. Die großen Parteien haben kein Konzept dagegen - und werden deshalb kleiner.

Die Kommunalwahl in Schleswig-Holstein lieferte für die SPD das Kontrastprogramm zur Bremen-Wahl. Sie konnte ihren Absturz in der Landtagswahl von 2022 um mehr als zehn Prozentpunkte nicht wettmachen und blieb unter zwanzig Prozent im Landesdurchschnitt. In Kiel und Lübeck, traditionelle SPD-Hochburgen, verlor sie die Mehrheit, in Kiel landete sie hinter Grünen und CDU sogar auf dem dritten Platz.

Die Grünen hingegen verspürten in der Heimat Robert Habecks nicht den Gegenwind, den sie in Bremen erlebten. In Kiel sind sie stärkste Kraft, im Landesdurchschnitt lagen sie etwa auf dem Niveau von 2022, aber leicht verbessert im Vergleich zur vergangenen Kommunalwahl. Die CDU blieb unangefochten, konnte ihren Abstand zu den anderen Parteien sogar noch vergrößern.

In die Wunde der SPD streute der Wahlverlierer in Kiel, Oberbürgermeister Ulf Kämpfer, stellvertretender SPD-Landesvorsitzender, auch noch Salz. In Kiel sei es der SPD ergangen wie in vielen anderen Großstädten, wo CDU und Grüne mittlerweile beide für sich stärker sind als die SPD. Das Klischee, die CDU sei keine Großstadtpartei, scheint mittlerweile auf die SPD viel besser zu passen.

Verbreitete Nicht-mit-mir-Stimmung

Was allen Parteien zu schaffen macht, in Bremen wie in Schleswig-Holstein, ist das Protestpotenzial und die größte „Partei“, die der Nichtwähler. In Schleswig-Holstein saugt einen Gutteil dieser Nicht-mit-mir-Stimmung der SSW auf, die Partei der dänischen Minderheit. Dass darüber hinaus auch die AfD mehr als acht Prozent erreichte, widerspricht der Behauptung der anderen Parteien, die Rechtspopulisten hätten hier im Norden keine Chance.

Sowohl in Bremen als auch in Schleswig-Holstein konnten nur diese Parteien in nennenswertem Umfang Nichtwähler mobilisieren – und das auf einem nach wie vor niedrigen Niveau. Vor allem aus der Wählerschaft von CDU (Bremen) und SPD (Schleswig-Holstein) wanderten viele Unzufriedene ab in das Lager der Nichtwähler. Zur Kommunalwahl in Schleswig-Holstein ging nicht einmal jeder zweite Wähler, in Bremen waren es nicht viel mehr. Darin ein Zeichen prinzipieller Zufriedenheit zu sehen, wird immer unglaubwürdiger.

Angesichts der Entscheidungen, die in den Kommunen anstehen, sollte man meinen, dass das Interesse weit größer ist. Die „großen“ Parteien haben ein grundsätzliches Problem, die Bürgerbeteiligung anzustacheln, wenn es darauf ankommt. Das ist ein Spiegel ihrer schwindenden Organisationsdichte. Eine Antwort darauf haben sie auch nach Jahren entsprechender Erfahrungen nicht gefunden. Der Verdacht liegt nahe, dass sie nicht alle Themen ansprechen – nicht ansprechen wollen –, die ein Großteil der Wähler umtreibt. Kein Wunder, dass die „Großen“ immer kleiner werden.

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