Commentary on Political Economy

Saturday 11 May 2024


BESUCH IN EUROPA:
Xi führt die Europäer vor

Jochen Buchsteiner
Ein Kommentar von Jochen Buchsteiner
Lesezeit: 2 Min.
Xi Jinping besucht bei seiner Reise auch Viktor Orbán in Budapest.
Seine Ziele in Europa wählte Xi Jinping mit sicherem Gespür für die Bruchlinien im Westen. Mit seiner Reise machte Chinas Staatschef deutlich: Das harte Spiel der Geopolitik beherrscht er besser.

Der Weg ist das Ziel, heißt es seit Konfuzius, aber manchmal verrät der Weg auch das Ziel. Die Reiseroute des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping hat sichtbar gemacht, welche Interessen die Volksrepublik unter seiner Führung in Europa verfolgt. Wie immer setzten Wirtschafts- und Handelsfragen den öffentlichen Ton, aber das Leitmotiv war strategischer Natur. Xi wählte seine drei Aufenthaltsorte mit sicherem Gespür für die Bruchlinien auf dem alten Kontinent und im Westen insgesamt.

In Frankreich traf er auf einen Präsidenten, der zwar die „systemische Rivalität“ zu China stärker betont als viele andere Europäer, nicht zuletzt der deutsche Bundeskanzler, aber gleichzeitig gehört Emmanuel Macron zu den größten Amerika-Skeptikern im Kreis der EU-Anführer. Dass der chinesische Präsident Macrons Vision einer sicherheitspolitischen Unabhängigkeit Europas als willkommenen Hebel betrachtet, um die NATO und die Idee vom „Westen“ zu schwächen, hatte vorher schon sein Außenminister zu Protokoll gegeben: „Wir betrachten Europa als bedeutenden Pol in der multipolaren Welt und unterstützen Frankreich bei seinem Drängen auf strategische Autonomie.“

Die Hoffnung, mit Chinas Hilfe die Großmachtpolitik Russlands eindämmen zu können, sollte nicht zu hoch veranschlagt werden. Macron erreichte als Gastgeber in Paris so wenig, wie vor ihm Olaf Scholz als Gast aus Peking mitgebracht hatte. China sieht sich als den künftigen, vielleicht schon aktuellen Hauptpol einer multipolaren Welt und betrachtet das universalistische Konzept einer wertebasierten Ordnung als hegemoniale List der Vereinigten Staaten.

Die „Neue Seidenstraße“ untergräbt die Bemühungen Brüssels

Xi denkt, wie sein Juniorpartner Putin, in nationalistischen Bahnen und in den Kategorien von Großräumen und Einflusssphären. Dass dieses Denken auch in Europa nicht ausgestorben ist, demonstrieren Ungarn und Serbien, die Xi mit seinem Besuch nicht nur belohnte, sondern als Stützpunkte ausbaute.

Beide Länder, EU-Mitglied das eine, EU-Beitrittskandidat das andere, sind Teil des chinesischen Globalprogramms „Neue Seidenstraße“ und untergraben damit die Bemühungen Brüssels, die europäischen Abhängigkeiten von der Volksrepublik zu verringern. Mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán begründete Xi eine „strategische Partnerschaft“, während sich der serbische Präsident Aleksandar Vučić für den Investitionssegen aus Peking mit dem Satz „Taiwan ist China“ bedankte.

Nicht zufällig legte Xi den Besuch bei seinem „eisernen Freund“ aus Belgrad auf einen Jahrestag, der die gemeinsame Abneigung gegen Amerika symbolisiert: Vor genau 25 Jahren zerstörte ein B2-Bomber die chinesische Botschaft in der serbischen Hauptstadt; auf den Ruinen steht heute ein Konfuzius-Institut.

In nur fünf Reisetagen führte Xi die Europäer auf mehr oder weniger subtile Weise vor und ließ sie in den eigenen, stumpfer werdenden Spiegel schauen. Der Kontinent, der sich so gerne als Modell für die Welt darstellt, ist widersprüchlich, schwach, unsolidarisch und in wesentlichen sicherheitspolitischen und ideologischen Fragen gespalten. China mag mehr wirtschaftliche Pro­bleme haben als noch vor einigen Jahren, aber im großen, harten Spiel der Geopolitik können die Europäer von Xi einiges lernen.